Donnerstag, 13. Januar 2022

Margareta

                                                                                                                     magyarul

                                               Ary Scheffer: Faust un Margarete im Garten

Margareta
Ihr heiligen Engel, bewahret meine Seele! – Mir graut’s vor dir, Heinrich!

Mephistopheles
Sie ist gerichtet! (Er verschwindet mit Faust, die Tür rasselt zu; man hört verhallend:)

Heinrich! Heinrich!
                        
(Ur-Faust)

      Obwohl es am 14. Januar noch dunkel war, wartete die Frankfurter Bevölkerung gespannt auf die Hinrichtung. Zwölf Soldaten standen bereits um 5 Uhr vor dem Gefängnis bereit. Um 6 Uhr fuhr die Kutsche des Militärrichters Oberst Raab zum Katharina-Turm, wo die Kindermörderin Susanne Margarethe Brandt festgehalten wurde.

     Wir schreiben das Jahr 1772, und verzeihen Sie mir, wenn ich nicht gleich zur Sache komme. Ich möchte den Leser neugierig machen (falls es einen gibt), warum es wichtig ist, was dort vor knapp 250 Jahren auf dem Platz der Hauptwache geschah.

     Wenn Sie sich nicht erinnern, füge ich als Hilfe hinzu, dass man den Katharina-Turm, nur 200 Meter entfernt vom Fenster des Mansardenzimmers aus sehen kann. Sein junger Bewohner, ein 22-jähriger Jurastudent, der gerade aus Straßburg zurückgekehrt war, war kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe. Verstehen Sie langsam den Zusammenhang? Ja, Gretchen wird auf dem Schafott sterben, um später in einem der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, Faust, wieder aufzuerstehen.

     Zuletzt hat Uwe Wittstock in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr wirkungsvoll darüber geschrieben. Natürlich haben sich auch die realen Personen hervorgetan: „Als Richter Raab gegen halb sieben (…) in die Zelle der Deliquentin tritt, steht er ganz in Schwarz vor ihr, trägt Stiefel mit Sporen und darüber einen roten Mantel mit dem silbernen Stadtwappen auf goldenen Grund. Auch Susanna Margaretha Brandt ist feierlich gekleidet. Man hat eine weiße Jacke für sie nähen lassen, einen weißen Rock, weiße Handschuhe, eine weiße Haube und für ihren Hals ein weißes Tuch. Bessere Kleider hat sie nie getragen. In ihre Hände hat man ihr ein weißes Taschentuch gelegt und dazu eine große Zitrone als ein Symbol für die Überwindung des Sündenfalls.“ Nachdem Raab das Urteil verlesen hatte, das seiner Meinung nach wohlverdient war, zieht er unter seinem Mantel "einen kleinen roten Stock hervor, zerbricht ihn über der jungen Frau und wirf ihn Susanne Margaretha vor die Füße. Entsetz beginnt Susanne Margarethe Brandt am ganzen Körper zu zittern. Es ist der Henker, der auf sie zugeht, ihre nimmt Hand und in aller Stille zur Beruhigung ein paar Worte zu ihr sagt."

     Obwohl die Tat der jungen Frau schrecklich war, hat man das Gefühl, dass alles nur ein Schaupiel war. Die Stadt Frankfurt hatte es für ihre angesehenen Bürger arrangiert: Schaut, wie moralisch wir sind, wie wir die Sünde verurteilen. Aber es waren Heuchelei und Angst vor Stigmatisierung, die die Tragödie verursachten. Die 24-jährige Magd, die in der Küche eines Gasthauses am Stadtrand wohnte, und von einem Fremden vergewaltigt wurde, war völlig schutzlos. Selbst ihre Familie hatte sie im Stich gelassen.

     Susanne bezeugte, die Aufzeichnungen beweisen es, dass er vom Teufel geführt wurde.  Auch Goethe studierte die Protokolle, machte sich sorgfältige Notizen und begann mit der Arbeit am sogenannten "Ur-Faust", der bereits "poetische Kraft und dramatisches Gespür" besaß. (László Márton, in: Faust, 2015)

     Das Zeichen der Zeit ist in der Endfassung des ersten Teils von Faust (Erstausgabe: 1808) zu sehen: wenn die irdische Gerechtigkeit ins Wanken gerät, versagt, möchte man auf eine höhere Macht vertrauen, die die Dinge in Ordnung bringt:

Margarete:
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.

Mephistopheles:
Sie ist gerichtet!

Stimme (von oben):
 Ist gerettet!

Mephistopheles (zu Faust):
 Her zu mir!

(Verschwindet mit Faust.)

Stimme (von innen, verhallend):
Heinrich! Heinrich!


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