Freitag, 27. Mai 2022

Turm zu Babel in Wien

                                                                                                             Magyarul

                                                                              KHM

                                               "Unser hart arbeitendes Volk wird gewinnen!"

                                                                              (Die Unreifen)   

     Wenn wir die Bibel lesen, können wir aus der Geschichte der Menschheit schließen, dass der Mensch ein sündiges, rebellisches Wesen ist. Es fällt ihm schwer, die Gebote zu befolgen. Schon das erste Menschenpaar sündigte, dann tötete Kain seinen Bruder, eine moralisch verdorbene Generation wurde durch eine Flut vernichtet, und es folgten Sodom und Gomorrah. Dazwischen liegt der Turmbau zu Babel, durch den die Menschen zerstreut wurden und sich seitdem nicht mehr verstehen, weil sie verschiedene Sprachen sprechen. Die Liste ließe sich fortsetzen, aber bleiben wir beim Turmbau zu Babel stehen.

     Die große Bruegel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien wurde im Januar 2019 geschlossen. Mehr als 400.000 Besucher sahen die fast 40 Gemälde und 60 Drucke. Obwohl Wien wegen der 12 Gemälde von Bruegel, nicht zuletzt wegen des Turms von Babel, immer einen Besuch wert ist, wurden dieses Mal die „Türme“ aus Wien und Rotterdam nebeneinander gezeigt.

 

 


 

     Warum ist die Kunst von Bruegel so interessant und attraktiv? Zweifellos wegen seines unerbittlichen Realismus, aber vor allem wegen seiner einzigartigen Vision, die selbst im Vergleich zu den großen Künstlern der Renaissance erstaunlich kühn war: Der Mensch ist nicht mehr das Zentrum des Universums, wie es bei Michelangelo oder Leonardo der Fall war. Schauplätze sind vor allem die Niederlande, die Zeit ist das 16. Jahrhundert, auch wenn sich der Maler von religiösen und mythologischen Themen inspirieren lässt. Die Spannung ist in den Gemälden spürbar. Bald marschiert Fürst Alba in die Provinz ein und lässt Protestanten hinrichten. Und wenn wir die Kinderspiele und den Kindermord von Bethlehem gedanklich nebeneinander stellen, wird deutlich, wie leicht die scheinbare Idylle in ein Gemetzel umschlagen kann.

     In der biblischen Geschichte des Turmbaus fehlt die Figur des Nimrod, des Herrschers der Stadt, von dem Josephus Flavius schreibt, dass er den Bau des Turms angeordnet hat. Er wurde auch von Dante in seinem Inferno als grobe Figur erwähnt. Virgil sagte: "Wegen seines bösen Plans / Hat die Welt keine gemeinsame Sprache". (31:77-78) Sogar im Fegefeuer wird sein Ehrgeiz erwähnt. (12:34-36) (1) Die Gestalt von Nimrod war populär. Sebastian Brant, der als der deutsche Dante gefeiert wurde, spricht im Narrenschiff über ihn. (1494) (1)

     Nicht weit vom Turm entfernt, auf einer kleinen Anhöhe, so dass man ihn gut erkennen kann, nähert sich der König mit seinem Gefolge, die Krone auf dem Kopf, das Zepter in der Hand. Die Maurer knien vor ihm nieder (das ist die einzige orientalische Besonderheit). Die Baumeister, die Arbeiter, können sich den Befehlen des Königs nicht widersetzen, sie arbeiten mit aller Kraft, unaufhörlich. Sie sind alle an einem Ort, sie sprechen eine Sprache, sie befolgen alle die Befehle des Herrschers. Es ist erschreckend. Wie viele Menschen rennen in dem gigantischen Bauwerk auf und ab, das hier und da schon bröckelt, sich in den Himmel streckt und zu einem undurchdringlichen Labyrinth wird? Obwohl der Turm auf einen Felsen gebaut war, sagte, Dante  er sei zum Einsturz verurteilt. Die Strafe ist noch nicht gekommen, das göttliche Wort ist noch nicht gesprochen, aber wir können schon auf dem Bild sehen, dass der monströse Plan zum Scheitern verurteilt ist: Das Unternehmen bricht von selbst zusammen. Das Eingreifen Gottes ist fast überflüssig.

Wie Rose-Marie und Reiner Hagen schreiben, hat kein anderer Maler die gigantischen Dimensionen des Turms je so wirkungsvoll dargestellt. Wie er einen Schatten auf die Küste wirft! Der Turm ist umgeben von der stillen Stadt, dem Fluss und dem Meer. Hoch oben ziehen die Wolken am blauen Himmel auf. Obwohl es sich um ein biblisches Thema handelt, stellt Bruegel das Gebäude als ein zeitgenössisches Unternehmen voller realistischer Details dar. Jedes Detail ist wahr. Jedes einzelne ist Teil des malerischen Konzepts, eine Struktur ohne Zentrum.

 

 


 

     Das etwas spätere Rotterdamer Bild ist viel kleiner, aber im Verhältnis ist dieser Turm immer noch der größere. Und durch das Fehlen der Nimrod-Szene vermitteln die Düsternis und die Monumentalität des Turms ein stärkeres Gefühl von Arroganz und Sinnlosigkeit. Der Mensch ist noch kleiner und unbedeutender. Die rote Farbe und die Wolken suggerieren Bedrohung, auch wenn dort oben fieberhaft gearbeitet wird. Jedes Bild ist auf seine eigene Weise brillant.

     Das Motiv hat also die Jahrhunderte überdauert und ist in die ungarische Literatur eingeflossen. Was bei Vörösmarty positiv war, nämlich dass wir beim Bau des Babel eines neuen Zeitalters durch die "Tür des Himmels" (2) blicken könnten, wurde bei Ady zum Symbol des Unverständnisses:

                 "Wird das Babel aller Sklaven
                   Doch erwachen, wird es Tag?" (3)
                                             (Ungarisches Jakobinerlied, 1908)

              

(1) Nimrod wird von Kézai (Chronist des 13. Jahrhunderts) als Vorfahre der Ungarn angesehen. János Arany:

           "Hunor Magor zwei Helden,
             Zwei Brüder, Söhne von Menroth."
                           (Ein Gedicht über das wundersame Reh)

(2) Gedanken in der Bibliothek, 1844

(3) Von Heinz Kahlau


Donnerstag, 13. Januar 2022

Margareta

                                                                                                                     magyarul

                                               Ary Scheffer: Faust un Margarete im Garten

Margareta
Ihr heiligen Engel, bewahret meine Seele! – Mir graut’s vor dir, Heinrich!

Mephistopheles
Sie ist gerichtet! (Er verschwindet mit Faust, die Tür rasselt zu; man hört verhallend:)

Heinrich! Heinrich!
                        
(Ur-Faust)

      Obwohl es am 14. Januar noch dunkel war, wartete die Frankfurter Bevölkerung gespannt auf die Hinrichtung. Zwölf Soldaten standen bereits um 5 Uhr vor dem Gefängnis bereit. Um 6 Uhr fuhr die Kutsche des Militärrichters Oberst Raab zum Katharina-Turm, wo die Kindermörderin Susanne Margarethe Brandt festgehalten wurde.

     Wir schreiben das Jahr 1772, und verzeihen Sie mir, wenn ich nicht gleich zur Sache komme. Ich möchte den Leser neugierig machen (falls es einen gibt), warum es wichtig ist, was dort vor knapp 250 Jahren auf dem Platz der Hauptwache geschah.

     Wenn Sie sich nicht erinnern, füge ich als Hilfe hinzu, dass man den Katharina-Turm, nur 200 Meter entfernt vom Fenster des Mansardenzimmers aus sehen kann. Sein junger Bewohner, ein 22-jähriger Jurastudent, der gerade aus Straßburg zurückgekehrt war, war kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe. Verstehen Sie langsam den Zusammenhang? Ja, Gretchen wird auf dem Schafott sterben, um später in einem der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, Faust, wieder aufzuerstehen.

     Zuletzt hat Uwe Wittstock in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr wirkungsvoll darüber geschrieben. Natürlich haben sich auch die realen Personen hervorgetan: „Als Richter Raab gegen halb sieben (…) in die Zelle der Deliquentin tritt, steht er ganz in Schwarz vor ihr, trägt Stiefel mit Sporen und darüber einen roten Mantel mit dem silbernen Stadtwappen auf goldenen Grund. Auch Susanna Margaretha Brandt ist feierlich gekleidet. Man hat eine weiße Jacke für sie nähen lassen, einen weißen Rock, weiße Handschuhe, eine weiße Haube und für ihren Hals ein weißes Tuch. Bessere Kleider hat sie nie getragen. In ihre Hände hat man ihr ein weißes Taschentuch gelegt und dazu eine große Zitrone als ein Symbol für die Überwindung des Sündenfalls.“ Nachdem Raab das Urteil verlesen hatte, das seiner Meinung nach wohlverdient war, zieht er unter seinem Mantel "einen kleinen roten Stock hervor, zerbricht ihn über der jungen Frau und wirf ihn Susanne Margaretha vor die Füße. Entsetz beginnt Susanne Margarethe Brandt am ganzen Körper zu zittern. Es ist der Henker, der auf sie zugeht, ihre nimmt Hand und in aller Stille zur Beruhigung ein paar Worte zu ihr sagt."

     Obwohl die Tat der jungen Frau schrecklich war, hat man das Gefühl, dass alles nur ein Schaupiel war. Die Stadt Frankfurt hatte es für ihre angesehenen Bürger arrangiert: Schaut, wie moralisch wir sind, wie wir die Sünde verurteilen. Aber es waren Heuchelei und Angst vor Stigmatisierung, die die Tragödie verursachten. Die 24-jährige Magd, die in der Küche eines Gasthauses am Stadtrand wohnte, und von einem Fremden vergewaltigt wurde, war völlig schutzlos. Selbst ihre Familie hatte sie im Stich gelassen.

     Susanne bezeugte, die Aufzeichnungen beweisen es, dass er vom Teufel geführt wurde.  Auch Goethe studierte die Protokolle, machte sich sorgfältige Notizen und begann mit der Arbeit am sogenannten "Ur-Faust", der bereits "poetische Kraft und dramatisches Gespür" besaß. (László Márton, in: Faust, 2015)

     Das Zeichen der Zeit ist in der Endfassung des ersten Teils von Faust (Erstausgabe: 1808) zu sehen: wenn die irdische Gerechtigkeit ins Wanken gerät, versagt, möchte man auf eine höhere Macht vertrauen, die die Dinge in Ordnung bringt:

Margarete:
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.

Mephistopheles:
Sie ist gerichtet!

Stimme (von oben):
 Ist gerettet!

Mephistopheles (zu Faust):
 Her zu mir!

(Verschwindet mit Faust.)

Stimme (von innen, verhallend):
Heinrich! Heinrich!


Freitag, 5. November 2021

Maupassant: Stark wie der Tod

 

                                                                Graphik von Károly Reich

                                                                                                                               magyar

     "Die Liebe ist so stark wie der Tod", heißt es im Hohelied…" Auch in Maupassants Roman, der eher ein seelischer Kampf ist, sind Liebe und Tod miteinander verbunden. In der neueren Zeit ist alles möglich, auch dass die leidenschaftliche Liebe des Protagonisten, des Malers, mit der Zeit von der Mutter auf die Tochter übergeht.

     Das Buch stand viele Jahrzehnte lang im Bücherregal meiner Mutter. Bisher hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, es zu lesen: Ich dachte, es handelt sich um eine Lektüre. Das stimmt, aber es ist die bessere Art. Tatsächlich hat mich ein kleines Zitat von György Rónay neugierig gemacht: "Seine Kunst entwaffnet mich, seine Gleichgültigkeit stört mich". Wirklich? Wäre Maupassant unempfindlich? Natürlich sind in diesem Roman die Pariser Oberschicht, die Reichen und Erfolgreichen, die Protagonisten. Sie alle sind Aristokraten, und unter ihnen hat der talentierte Maler Oliver, der auch die Liebe einer Gräfin gewonnen hat, die Karriereleiter erklommen.

     Natürlich gibt es die Gleichgültigkeit: Als Annette, die jüngere Version der Liebe des Malers, und die ganze Familie mit der Kutsche durch die schönsten Boulevards von Paris entlangfährt, schaut das junge Mädchen, das auf dem Land gelebt hat, mit Abscheu und Verachtung auf die gemieteten Kutschen:

     - Ich denke, man sollte das Vorbeifahren von Mietkutschen verbieten.

     - Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit, meine Liebe, und Sie wissen nicht, dass wir uns mitten in einer Demokratie befinden. - antwortete Oliver.

     Auch in einem schönen Park "begann Annette, die Menschen zu beobachten, dachte besorgt über ihr Leben und ihre Beschäftigungen nach und war erstaunt, dass sie es wagten, in diesem schönen Park in einem so erbärmlichen Zustand zu erscheinen." Später, im Atelier des Malers, weint Annette, nachdem sie Victor Hugos kleinepisches Werk „Die Armen“ gelesen hat: "Sie hörte auf zu lesen und starrte vor sich hin. Der Maler trat heran und sah zwei klare Tränen in ihren Augen, die über ihre Wangen kullerten".

     Es besteht kein Zweifel, dass Maupassant mit subtilen Mitteln arbeitet. Annette wird sich nicht verändern, nur etwas in ihrer Seele wird erschüttert werden. Aber sie kann das Leben genauso gut genießen und freut sich auf ihre bevorstehende Hochzeit mit einem gut aussehenden jungen Marquis. Es ist die Zeit, in der auch das Bürgertum das Leben genießt, wie es von den Impressionisten festgehalten wurde. Maupassant hat den Moment, das Spiel der Lichter und Farben, ähnlich gemalt: "In der Ferne, unter den Bäumen, sprühten die zarten Strahlen des Mondes zwischen den Ästen hindurch, tropften auf den Boden, befeuchteten die Blätter und sammelten sich in kleinen Pfützen, die in einem gelblichen Licht leuchteten".

     Schließlich ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Maupassant Proust vorgreift, für den die Madeleine-Torte an die Vergangenheit erinnert. Bei Maupassant ist es ein Duft, das nasse Gras, ein belauschtes Klaviersolo.

Montag, 16. August 2021

Schiele

                                                                                                 magyar

 Aus einem alten Spiralnotizbuch

                                                                               30. September 2013

     Bei jedem Wien-Besuch sind wir fast immer auf Schiele "gestoßen", obwohl wir uns in erster Linie von Klimt, dem harmonischeren Jugendstil, angezogen fühlten und nicht von Schieles wildem Expressionismus. Nun kam er nach Budapest: mit seinen Zeitgenossen Kokoschka, Gerstl. Man konnte ihm nicht ausweichen. Klimt war ihm natürlich voraus (2010).

     Kürzlich wurde unter dem Titel Art History Quick Guide (nyest.hu) eine unterhaltsame kleine Zusammenfassung darüber veröffentlicht, wie man die Gemälde der großen Künstler erkennt. Ein Beispiel: Wenn das Bild aus farbigen Punkten besteht und keine Menschen darauf zu sehen sind, handelt es sich um Monet. Wenn das Bild aus farbigen Punkten besteht und fröhlich feiernde Menschen zeigt, ist es Renoir usw. Ich habe mich gefragt, ob ich das Wesen von Schieles Gemälden in einem Satz zusammenfassen kann. Unheimliche Selbstporträts, gespaltene Porträts, ärmliche Akte, Erotik, ein schauriges Mutter-Kind-Motiv, Städte und Landschaften, die wie tot aussehen. In den 29 Jahren seines Lebens entstanden fast 3.000 Gemälde. (Nur 50 von ihnen sind hier ausgestellt.)

                                                                     Familie, 1918

    Ady, der ungarische Dichter, fasste die Entwicklungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts, einschließlich des Weltkriegs, so zusammen: "Alles ist zerbrochen"

     Und doch können wir uns an der Sicherheit und der handwerklichen Meisterschaft erfreuen, mit der Schiele seine Figuren, Stadtansichten und Naturszenen gestaltet.

                                              Auf dem Bauch liegender, weiblicher Akt, 1917

    Er hat nicht nur mit Farben und Linien, sondern auch mit Worten ausgezeichnet umgegangen:

          Koste Röte, rieche wiegende weiße Winde,
          Schaue an im All: Sonne.
          Gelbglitzernde Sterne schaue,
          bis dir wohl ist und du schließen mußt die Blinzenden.
          Hirnwelten funkeln dir in deinen Höhlen.
          Laß zittern dir die innigen Finger,
          taste am Elemente, der du durstig taumelnd dir suchen mußt,
          der spingend sitzt, laufend du liegst, liegend träumst, träumend wachst.
          Fieger fressen Hunger und Durs und Unlust,
          Blut fügt sich durch.

          Vater, der du doch da bist, schaue mich an.
          Umwickle mich,
          gib mir:
          Nahe Welt laufe ab und auf rasend.
          Strecke jetzt deine edlen Knochen,
          reiche mir weiches Ohr,
          schöne blaß-blaue Augen.
          Das, Vater, war da -
          vor dir bin ich!
                                          (
Sonne, 1910, erschien in der Aktion)

                                           Selbstbildnis mit Händen vor der Brust, 1910

Nachtrag

     Pilinszky, ebenfalls Dichter,  sagte in seinem Interview (1978): "... wir dachten, Thomas Mann würde über das Zeitalter sprechen, es stellte sich heraus, dass es Kafka war." Ich würde es so ausdrücken: Wir dachten, Klimt würde authentisch über die Epoche sprechen, aber vielleicht Schiele?



Dienstag, 18. Mai 2021

Theseus in Maske

magyar

2020

      Wenn man die Wiener Ringstraße entlang spaziert, ist es immer ein herzerwärmender Moment, wenn das Kunsthistorische Museum im Stil der Neorenaissance und sein Schwestermuseum, das Naturhistorische Museum, auftauchen.

 


                                                                            KHM 

     2020 war das auch nicht anders. Ich bin wohl einer der wenigen Menschen, die die Chance hatten, Wien ein paar Tage lang zu erkunden: den Musikverein von innen, Heiligenstadt mit dem Beethoven-Gedenkhaus und natürlich das unerschöpfliche Kunsthistorische Museum. Wie ein Fürst schreitet man die Treppe hinauf und steht ehrfürchtig vor der Statue von Canova: Theseus besiegt den Zentauren. Der Legende nach wurden die Zentauren bei der Hochzeit von Peirithoos und Deidameia so betrunken, dass sie die Braut und die anderen Frauen angriffen. Dies führte zu einem regelrechten Krieg, an dem Theseus beteiligt war.

 


                                                                   Theseus in einer Maske 

     Niemand hat die triumphale Anspannung der Kraft und das gequälte Nachgeben des Unwürdigen schöner dargestellt als Canova. Das Entwaffnende an klassischen Werken ist, dass wir uns keine andere Möglichkeit vorstellen können. Theseus besiegt immer den Zentauren. 

* 

     Im Jahr 1864 wurde beschlossen, dass die beiden Museen von den Habsburgern auf der anderen Seite des Boulevards gebaut werden sollten. Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem Carl Hasenauer, Theophil Hansen, Heinrich Ferstel und Moritz Löhr eingeladen wurden. Gottfried Semper wurde als Preisrichter eingeladen und er entwarf zunächst einen großen Plan, das Kaiserforum. 

 


                                                        Grundriss des Kaiserforums, wikipedia 

     Daraus wurden die beiden Museen und die sogenannte Neue Burg (1913) fertiggestellt. Aber vielleicht ist das auch gut so: Der Platz blieb offen für den Volksgarten (Sisi-Statue), das Burgtheater und das Rathaus. Semper war es auch, der sich für die Umsetzung von Hasenauers Plan entschied. Dem Naturhistorischen Museum (1889) folgte bald die Eröffnung einer Sammlung von Kunstschätzen. Natürlich konnte eine so reiche Sammlung nur über viele Jahrhunderte aufgebaut werden, und in diesem Teil Europas konnten nur Könige, Kaiser und Erzherzöge Mäzene sein.

     Erzherzog Ferdinand II. (1520-1595) war der Gründer, gefolgt von Rudolf II. (1576-1612), der vom Sammeln von Gemälden besessen war. Seine Figur ist vielleicht aus dem Akt 8 (Prag) der "Tragödie des Menschen" (Imre Madách, 1861) bekannt. Er war verantwortlich für die Bruegel-Sammlung, Dürers Werke und einige Werke des Manierismus (Arcimboldo). Am Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) übernahmen die Schweden jedoch viele seiner Gemälde "zur Verwahrung". Sie bewahren noch auf, was übrig geblieben ist, wie z.B. Arcimboldos Porträt von Rudolph, aber mehrere wurden bei einem Schlossbrand zerstört oder an einen anderen Ort gebracht. Königin Christina schenkte Dürers "Adam und Eva" an Philipp IV. von Spanien. Es befindet sich jetzt im Prado. Nil admirari! Kein Wunder! Die Museen Europas sind voll von solchen "geretteten" Schätzen.

     Erzherzog Wilhelm Leopold (1614-1662) war mit rund 1400 Gemälden vertreten.

 


                                                  Unter den Bildern von Wilhelm Leopold, KHM    

     Die Sammlung wurde 1781, während der Regierungszeit Josephs II., von der Stallburg ins Belvedere verlegt und war dann der Öffentlichkeit zugänglich. Die kaiserliche Sammlung wurde schließlich 1891 in das neue Gebäude verlegt. 

* 

     Es sind noch einige Dürer-Gemälde vorhanden. Acht an der Zahl. Vielleicht das schönste von ihnen: Maria mit Kind. 


                                                                 Maria mit dem Kind, KHM 

     Wenn wir dieses Gemälde betrachten, können wir die Essenz der Renaissancekunst sehen: die Schönheit des Menschen auf der Leinwand. Auch Dichter singen diese Harmonie mit Ehrfurcht. (Petrarca, Balassi) Aber in Dürers Bild ist auch ein verborgener Schmerz: warum muss sie das Kind verlieren. 

* 

     Wie wird das Jahr 2021 aussehen? Wird Theseus seine Maske abnehmen?

Sonntag, 16. Mai 2021

Dürer: Die vier Apostel

                                                                                                                     magyar

                                                                                                     (Advent, 2013)

     Ich wollte schon lange einmal die Alte Pinakothek in München besuchen. Ich konnte kaum glauben - wir hatten so wenig Zeit - dass ich es geschafft hatte. Lange stand ich vor einigen Gemälden und wurde dann wieder in das adventliche Gedränge hineingezogen.

     Für mich sind die Porträts die herausragendsten Werke von Dürer (1471-1528). Dass auch seine Zeichnungen, Aquarelle und Stiche Meisterwerke sind, versteht sich von selbst. Als die Albertina (in Wien) 2003 seine Sammlungsausstellung hatte, haben wir lange gewartet, bis wir an der Reihe waren, den berühmten Hasen näher zu betrachten. Aber seine Selbstporträts, die Porträts seiner Mutter, seines Vaters, von Wolgemut, Holzschuher, Muffel sind alle hervorragend und zeugen von einer tiefen Menschenkenntnis des Künstlers!

     Zwei Jahre vor seinem Tod (1526) begann er sein monumentales Werk, Die vier Apostel. Die beiden Tafeln mit zwei überlebensgroßen Figuren der Apostel könnten die beiden Seitenwände eines Flügelaltars gewesen sein. Dieser Plan, wenn es denn einen gab, wurde nicht realisiert. Sein Testament, eine Warnung an seine Zeit, übergab er der Stadt Nürnberg.

Wer ist auf dem Bild zu sehen? Schauen wir uns das mal an! Johannes, Petrus, Markus und Paulus, von links nach rechts. Aber Markus war kein Apostel. Mit einer Papyrusrolle in der Hand fragt er sich vielleicht: Habe ich die Wahrheit geschrieben?


                                                             Dürer: Die vier Apostel

    Die Arbeit kann nicht von ihrer Zeit getrennt werden. Die Bibelzitate am unteren Rand des Bildes, die auf Luthers Übersetzung beruhen, sind ein Anhaltspunkt dafür. Krieg und Grausamkeiten fegten über Europa. Die Stadt Nürnberg nahm 1526 die Reformation an. (Dürer selbst war ein überzeugter Anhänger von Luthers Ideen). Die biblischen Texte beginnen mit den Worten aus dem Buch der Offenbarung:

"Alle weltliche regenten in disen ferlichen zeitten Nemen billich acht, das sie nit fur das gottlich wort menschliche verfuerung annemen Dann Gott wil nit Zu seinem wort gethon, noch dannen genomen haben. Darauf horent dise trefflich vier menner Petrum Johannem Paulum vnd Marcum Ire warnun[g]".(22, 18) 

     Dann kommt der zweite Brief des Petrus: "Petrus spricht in seiner andern Epistel Im andern Capittel also / Es waren aber auch falsche prophetten vnter dem volck, Wie auch vnter euch sein werden falsche lerer, die neben einfuren werden verderbliche seckten Vnnd / verleucken den herren der sie erkaufft hat Vnnd werden vber sich furen ein schnel verdamnus Vnd vile werden nachuolgenn Irem verderben, Durch / welche wird der weg der warhait verlestert werden, Vnd durch geitz mit erdichten wortten, werden sie an euch hantieren, Vber welche das vrtail von / lannger here nit saumig ist Vnnd ir verdamnuss schlefft nicht." (2. Petr. 2, 1-3)

    Weitere Zitate: 1Joh 4, 1-3., 2Tim 3, 1-7 (!!), Mk 12, 38-40 (!!) Wer den Text aufmerksam liest, dem fällt die Formulierung "das gottlich wort" auf, oder sein Gegenteil, die "falschen Propheten". Das ist das eigentliche Wesen der Reformation: das Wort Gottes. Und wer könnte für Dürer wichtiger sein als die vier Männer, die die Botschaft Gottes überbringen.

     Die Inschriften stammen von Neudörffer, einem Kalligraphen aus Nürnberg. Er war auch Dürers erster Biograph, und er bemerkte, dass es Dürers Ziel war, Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Temperamenten darzustellen. Es ist nicht notwendig, die Kategorien der Psychologie hier aufzulisten. Viel wichtiger ist die Spannung, die sich in den Gesichtern widerspiegelt. Johannes liest die Anfangszeilen seines eigenen Evangeliums. Peter hört gebrochen, mit gekrümmtem Rücken zu. Markus, der die größere Macht anerkennt, schaut aufgeregt zu Paulus, in dessen Augen wir sehen können: all das, was die Propheten vorausgesagt haben, wird wahr werden. Haltet fest an der Heiligen Schrift und den Geboten, sagt er.

     Der Schlüssel, das Schwert und die kleine Papyrusrolle sind so unbedeutend im Vergleich zu all dem, was in den Seelen wütet, was durch die sich umklammernden Hände und den Kontrast der Farben noch mehr betont wird. Das feuerrote, verfallende Gewand des Johannes drückt Leidenschaft aus, während die kühlere Farbe bei Paulus den Kontrapunkt bildet: Die gebrochenen Linien der Falten lassen die Spannung des Willens erahnen. Diese irdischen Menschen sind ratlos, ängstlich vor der Zukunft, suchen nach Gewißheit zwischen Anfang und Ende.

     Ich bin allein hierher in die verlassene Barer Straße gekommen. Ich bin weit weg vom Adventsmarkt, wo meine Frau sicher auf mich wartet. Wir haben beide unsere Zeit gut verbracht.