(Advent, 2013)
Ich wollte schon lange einmal die Alte Pinakothek in München besuchen. Ich konnte kaum glauben - wir hatten so wenig
Zeit - dass ich es geschafft hatte. Lange stand ich vor einigen Gemälden und
wurde dann wieder in das adventliche Gedränge hineingezogen.
Für mich sind die Porträts die
herausragendsten Werke von Dürer (1471-1528). Dass auch seine Zeichnungen,
Aquarelle und Stiche Meisterwerke sind, versteht sich von selbst. Als die
Albertina (in Wien) 2003 seine Sammlungsausstellung hatte, haben wir lange gewartet, bis
wir an der Reihe waren, den berühmten Hasen näher zu betrachten. Aber seine
Selbstporträts, die Porträts seiner Mutter, seines Vaters, von Wolgemut,
Holzschuher, Muffel sind alle hervorragend und zeugen von einer tiefen
Menschenkenntnis des Künstlers!
Zwei Jahre vor seinem Tod (1526) begann er
sein monumentales Werk, Die vier Apostel. Die beiden Tafeln mit zwei überlebensgroßen
Figuren der Apostel könnten die beiden Seitenwände eines Flügelaltars gewesen
sein. Dieser Plan, wenn es denn einen gab, wurde nicht realisiert. Sein
Testament, eine Warnung an seine Zeit, übergab er der Stadt Nürnberg.
Wer ist auf dem
Bild zu sehen? Schauen wir uns das mal an! Johannes, Petrus, Markus und Paulus,
von links nach rechts. Aber Markus war kein Apostel. Mit einer Papyrusrolle in
der Hand fragt er sich vielleicht: Habe ich die Wahrheit geschrieben?
Dürer: Die vier Apostel
Die Arbeit kann nicht von ihrer Zeit
getrennt werden. Die Bibelzitate am unteren Rand des Bildes, die auf Luthers
Übersetzung beruhen, sind ein Anhaltspunkt dafür. Krieg und Grausamkeiten fegten
über Europa. Die Stadt Nürnberg nahm 1526 die Reformation an. (Dürer selbst war
ein überzeugter Anhänger von Luthers Ideen). Die biblischen Texte beginnen mit
den Worten aus dem Buch der Offenbarung:
"Alle weltliche regenten in disen ferlichen zeitten Nemen billich acht, das sie nit fur das gottlich wort menschliche verfuerung annemen Dann Gott wil nit Zu seinem wort gethon, noch dannen genomen haben. Darauf horent dise trefflich vier menner Petrum Johannem Paulum vnd Marcum Ire warnun[g]".(22, 18)
Dann kommt der
zweite Brief des Petrus: "Petrus
spricht in seiner andern Epistel Im andern Capittel also / Es waren aber auch
falsche prophetten vnter dem volck, Wie auch vnter euch sein werden falsche
lerer, die neben einfuren werden verderbliche seckten Vnnd / verleucken den
herren der sie erkaufft hat Vnnd werden vber sich furen ein schnel verdamnus
Vnd vile werden nachuolgenn Irem verderben, Durch / welche wird der weg der
warhait verlestert werden, Vnd durch geitz mit erdichten wortten, werden sie an
euch hantieren, Vber welche das vrtail von / lannger here nit saumig ist Vnnd
ir verdamnuss schlefft nicht." (2. Petr. 2, 1-3)
Weitere Zitate: 1Joh 4, 1-3., 2Tim 3, 1-7 (!!), Mk 12, 38-40 (!!) Wer den Text
aufmerksam liest, dem fällt die Formulierung "das gottlich wort" auf,
oder sein Gegenteil, die "falschen Propheten". Das ist das
eigentliche Wesen der Reformation: das Wort Gottes. Und wer könnte für Dürer
wichtiger sein als die vier Männer, die die Botschaft Gottes überbringen.
Die Inschriften
stammen von Neudörffer, einem Kalligraphen aus Nürnberg. Er war auch Dürers
erster Biograph, und er bemerkte, dass es Dürers Ziel war, Persönlichkeiten mit
unterschiedlichen Temperamenten darzustellen. Es ist nicht notwendig, die
Kategorien der Psychologie hier aufzulisten. Viel wichtiger ist die Spannung,
die sich in den Gesichtern widerspiegelt. Johannes liest die Anfangszeilen
seines eigenen Evangeliums. Peter hört gebrochen, mit gekrümmtem Rücken zu.
Markus, der die größere Macht anerkennt, schaut aufgeregt zu Paulus, in dessen
Augen wir sehen können: all das, was die Propheten vorausgesagt haben, wird
wahr werden. Haltet fest an der Heiligen Schrift und den Geboten, sagt er.
Der Schlüssel,
das Schwert und die kleine Papyrusrolle sind so unbedeutend im Vergleich zu all
dem, was in den Seelen wütet, was durch die sich umklammernden Hände und den
Kontrast der Farben noch mehr betont wird. Das feuerrote, verfallende Gewand
des Johannes drückt Leidenschaft aus, während die kühlere Farbe bei Paulus den
Kontrapunkt bildet: Die gebrochenen Linien der Falten lassen die Spannung des
Willens erahnen. Diese irdischen Menschen sind ratlos, ängstlich vor der
Zukunft, suchen nach Gewißheit zwischen Anfang und Ende.
Ich bin allein hierher in die verlassene
Barer Straße gekommen. Ich bin weit weg vom Adventsmarkt, wo meine Frau sicher
auf mich wartet. Wir haben beide unsere Zeit gut verbracht.
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