Sonntag, 16. Mai 2021

Dürer: Die vier Apostel

                                                                                                                     magyar

                                                                                                     (Advent, 2013)

     Ich wollte schon lange einmal die Alte Pinakothek in München besuchen. Ich konnte kaum glauben - wir hatten so wenig Zeit - dass ich es geschafft hatte. Lange stand ich vor einigen Gemälden und wurde dann wieder in das adventliche Gedränge hineingezogen.

     Für mich sind die Porträts die herausragendsten Werke von Dürer (1471-1528). Dass auch seine Zeichnungen, Aquarelle und Stiche Meisterwerke sind, versteht sich von selbst. Als die Albertina (in Wien) 2003 seine Sammlungsausstellung hatte, haben wir lange gewartet, bis wir an der Reihe waren, den berühmten Hasen näher zu betrachten. Aber seine Selbstporträts, die Porträts seiner Mutter, seines Vaters, von Wolgemut, Holzschuher, Muffel sind alle hervorragend und zeugen von einer tiefen Menschenkenntnis des Künstlers!

     Zwei Jahre vor seinem Tod (1526) begann er sein monumentales Werk, Die vier Apostel. Die beiden Tafeln mit zwei überlebensgroßen Figuren der Apostel könnten die beiden Seitenwände eines Flügelaltars gewesen sein. Dieser Plan, wenn es denn einen gab, wurde nicht realisiert. Sein Testament, eine Warnung an seine Zeit, übergab er der Stadt Nürnberg.

Wer ist auf dem Bild zu sehen? Schauen wir uns das mal an! Johannes, Petrus, Markus und Paulus, von links nach rechts. Aber Markus war kein Apostel. Mit einer Papyrusrolle in der Hand fragt er sich vielleicht: Habe ich die Wahrheit geschrieben?


                                                             Dürer: Die vier Apostel

    Die Arbeit kann nicht von ihrer Zeit getrennt werden. Die Bibelzitate am unteren Rand des Bildes, die auf Luthers Übersetzung beruhen, sind ein Anhaltspunkt dafür. Krieg und Grausamkeiten fegten über Europa. Die Stadt Nürnberg nahm 1526 die Reformation an. (Dürer selbst war ein überzeugter Anhänger von Luthers Ideen). Die biblischen Texte beginnen mit den Worten aus dem Buch der Offenbarung:

"Alle weltliche regenten in disen ferlichen zeitten Nemen billich acht, das sie nit fur das gottlich wort menschliche verfuerung annemen Dann Gott wil nit Zu seinem wort gethon, noch dannen genomen haben. Darauf horent dise trefflich vier menner Petrum Johannem Paulum vnd Marcum Ire warnun[g]".(22, 18) 

     Dann kommt der zweite Brief des Petrus: "Petrus spricht in seiner andern Epistel Im andern Capittel also / Es waren aber auch falsche prophetten vnter dem volck, Wie auch vnter euch sein werden falsche lerer, die neben einfuren werden verderbliche seckten Vnnd / verleucken den herren der sie erkaufft hat Vnnd werden vber sich furen ein schnel verdamnus Vnd vile werden nachuolgenn Irem verderben, Durch / welche wird der weg der warhait verlestert werden, Vnd durch geitz mit erdichten wortten, werden sie an euch hantieren, Vber welche das vrtail von / lannger here nit saumig ist Vnnd ir verdamnuss schlefft nicht." (2. Petr. 2, 1-3)

    Weitere Zitate: 1Joh 4, 1-3., 2Tim 3, 1-7 (!!), Mk 12, 38-40 (!!) Wer den Text aufmerksam liest, dem fällt die Formulierung "das gottlich wort" auf, oder sein Gegenteil, die "falschen Propheten". Das ist das eigentliche Wesen der Reformation: das Wort Gottes. Und wer könnte für Dürer wichtiger sein als die vier Männer, die die Botschaft Gottes überbringen.

     Die Inschriften stammen von Neudörffer, einem Kalligraphen aus Nürnberg. Er war auch Dürers erster Biograph, und er bemerkte, dass es Dürers Ziel war, Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Temperamenten darzustellen. Es ist nicht notwendig, die Kategorien der Psychologie hier aufzulisten. Viel wichtiger ist die Spannung, die sich in den Gesichtern widerspiegelt. Johannes liest die Anfangszeilen seines eigenen Evangeliums. Peter hört gebrochen, mit gekrümmtem Rücken zu. Markus, der die größere Macht anerkennt, schaut aufgeregt zu Paulus, in dessen Augen wir sehen können: all das, was die Propheten vorausgesagt haben, wird wahr werden. Haltet fest an der Heiligen Schrift und den Geboten, sagt er.

     Der Schlüssel, das Schwert und die kleine Papyrusrolle sind so unbedeutend im Vergleich zu all dem, was in den Seelen wütet, was durch die sich umklammernden Hände und den Kontrast der Farben noch mehr betont wird. Das feuerrote, verfallende Gewand des Johannes drückt Leidenschaft aus, während die kühlere Farbe bei Paulus den Kontrapunkt bildet: Die gebrochenen Linien der Falten lassen die Spannung des Willens erahnen. Diese irdischen Menschen sind ratlos, ängstlich vor der Zukunft, suchen nach Gewißheit zwischen Anfang und Ende.

     Ich bin allein hierher in die verlassene Barer Straße gekommen. Ich bin weit weg vom Adventsmarkt, wo meine Frau sicher auf mich wartet. Wir haben beide unsere Zeit gut verbracht.

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